Gutmann CIO-Update August Tanz der Notenbanken auf dem Vulkan Die Weltwirtschaft befindet sich an einem wichtigen Scheideweg und es steht viel auf dem Spiel: Die hohe Inflation und das Tempo der Zinsanhebungen belasten die Wirtschaft und das Risiko einer Stagnation steht im Raum. Angesichts dieser Konjunkturaussichten geraten die großen Notenbanken, insbesondere die Europäische Zentralbank EZB, in die Zwickmühle. Einerseits hat der Kampf gegen die Inflation oberste Priorität, andererseits dürfen sie die nachlassende Konjunkturdynamik nicht ignorieren. Ansonsten könnte eine Pause bei den geldpolitischen Straffungen oder gar deren Umkehr die Folge sein. Im Euroraum macht sich die Eintrübung in Form fallender Einkaufsmanagerindizes (PMIs) bemerkbar. Sie sind sowohl für die Industrie als auch für Dienstleister unter die markante Expansionsschwelle von 50 gefallen. Die Konjunkturverlangsamung könnte zwar einen sinkenden Preisdruck auslösen und damit für Entlastung bei der Inflation sorgen. Solange sich aber keine Entspannung am Energiemarkt abzeichnet, wird die Inflation über den Erwartungen der Notenbank bleiben. EZB und Fed beschließen Zinsanhebungen Die EZB hat den Leitzins Ende Juli unerwartet kräftig um 0,5 % angehoben, Negativzinsen gehören damit der Vergangenheit an. Darüber hinaus hat der EZB-Rat ein neues Kriseninstrument präsentiert: Das Transmission Protection Instrument (TPI). Dieses soll sicherstellen, dass die Geldpolitik in allen Regionen der Währungsunion gleichermaßen wirkt und der EZB gezielte und unbegrenzte Anleihekäufe von Euro-Staaten am Sekundärmarkt ermöglicht. Ziel ist es, die Finanzierungskosten hochverschuldeter Länder zu senken und so ein Auseinanderdriften der Eurozone zu verhindern. Die europäischen Anleiherenditen schnellten nach der Sitzung kurzzeitig in die Höhe, bevor sie sich aufgrund von Rezessionsängsten wieder abschwächten. Seit dem Renditehöhepunkt bei der deutschen 10-jährigen Staatsanleihe von 1,77 % Mitte Juni fielen die Renditen auf 0,95 % zurück. Die US-Notenbank Fed hob den Leitzins um 0,75 % an. Es ist die insgesamt vierte Leitzinsanhebung in Folge seit März 2022 und der zweite große Zinsschritt um 75 Basispunkte. Die Währungshüter bestätigten zudem das Abschmelzen ihrer Bestände an US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren. Gewichtung der Anlageklassen Sommerliches Durchatmen Das erste Halbjahr 2022 war hart und sucht seinesgleichen in der Geschichte. Beide großen Anlageklassen Aktien und Anleihen schlossen es mit einem satten Minus ab. Doch bereits in der zweiten Juni-Hälfte zeigte sich die Sonne zwischen den dunklen Wolken. Und im Juli setzte die lang erwartete Gegenbewegung an den Aktien- und Anleihemärkten ein. Was waren die Auslöser für die Trendwende? Aus unserer Sicht spielte die Investorenstimmung eine wichtige Rolle. Viele von uns beobachtete Indikatoren wiesen auf übertriebenen Pessimismus hin. Das erhöhte die Wahrscheinlichkeit auf eine baldige Gegenbewegung. Offen bleibt, ob es sich lediglich um eine Bärenmarktrally handelt oder ein neuer langfristiger Aufschwung bevorsteht. Erwartungen als Zünglein an der Waage Die Märkte sind den Ereignissen in Wirtschaft und Notenbankpolitik immer eine Nasenlänge voraus. Das zeigt die positive Aktienmarktentwicklung angesichts der kräftigen Zinsanhebungen in den USA und Europa. Es zählt nicht, was heute geschieht, sondern wie sich die Erwartungen für morgen verändern. Und aktuell dürften die Erwartungen der Marktteilnehmer zu negativ gewesen sein. Mit unserer neutralen Aktiengewichtung waren wir gut positioniert und mit einem breiteren Kursaufschwung an der Börse wird auch unser Ausblick optimistischer. Für einen zusätzlichen Schritt in die Aktien hinein fehlen uns aber noch die entscheidenden Datenpunkte. Notenbanken als Marktmotor Interessanterweise drehten mit den Aktienkursen auch die Preise der Anleihen nach oben. Wiederum ein Gleichlauf, diesmal in die angenehmere Richtung. In der Vergangenheit führten kräftige Zinsanhebungen der Notenbanken zu einer Abschwächung der Wirtschaft und rückläufigen Inflationszahlen. Dieses Szenario wurde vom Markt über die letzten Wochen stärker eingepreist. Mitte Juni erhöhten wir zu einem optimalen Zeitpunkt die Restlaufzeiten unserer Anleihestrategie in Euro und US-Dollar. Und wieder war es die Investorenstimmung, die für uns ausschlaggebend war. Genau den perfekten Tag „zu erwischen“, war natürlich das Glück des Tüchtigen. Das Ausmaß der Marktbewegungen ist erstaunlich. So fiel zum Beispiel die Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen in wenigen Wochen von über 1,7 % auf unter 1,0 %. Durch die Duration-Verlängerung profitierten wir zusätzlich von dieser Entwicklung. Balance im Depot Das aktuelle Motto unserer Portfolio-Strategie heißt Ausgewogenheit. Bei den Aktien liegt der Fokus auf qualitativ hochwertigen Geschäftsmodellen, die sich in diesem inflationären Umfeld behaupten können. Bei der Rentenstrategie setzen wir bewusst auf Hyper-Diversifikation – kein einzelner Titel entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Strategie.